Geschichten aus dem LebenZwischen zwei Kulturen |
Die Zierlichkeit der „Schwarzen Katze“
Nachdem Anna Bondar 2002 nach Deutschland gekommen war, hat sie Sportunterricht für Erwachsene in Rostock geleitet. Einige Jahre später beschloss sie sich selbständig zu machen und eröffnete einen Dessous-Laden.
Anna, wie lange leben Sie schon in Deutschland, woher kommen Sie ursprünglich und womit haben Sie sich in Ihrer Heimat beschäftigt? Ich bin aus der Ukraine umgesiedelt und wohne seit 2002 in Rostock. Ich habe 24 Jahre in Odessa gelebt. Da war ich genauso wie jetzt selbstständig: Ich habe im Unternehmen meines Vaters gearbeitet. Früher habe ich viel Sport getrieben. Danach bin ich auf die Idee gekommen, mein eigenes Unternehmen zu gründen. Und wie lief die Existenzgründung und die Entwicklung Ihres Unternehmens ab? Wie immer: es ist nicht einfach, ein Kleinunternehmen zu gründen. Wir haben viel Geld investiert und viel gearbeitet. Heutzutage ist unser Geschäft erfolgreich, aber in den ersten 2-3 Jahren haben wir für unsere Kunden fast umsonst gearbeitet. Heute haben wir große Pläne für die Zukunft. Sind Sie im Großen und Ganzen damit zufrieden, wie Ihre Geschäfte laufen? Ja. Wenn man es in Betracht zieht, wie viele Einwohner Rostock hat und wie viele Waren angeboten werden, wenn man an die Konkurrenz und die Warenspezifik (Unterwäsche ist doch nicht dasselbe wie Wurst) denkt, dann bin ich sicherlich zufrieden. Wenn man noch mitberücksichtigt, dass ich Ausländerin bin und dass die Warenmarken («Milavitsa» und «V.O.V.A.») auch aus dem Ausland kommen, dann haben wir einen großen Erfolg erreicht! Laut einer Statistik ist jede vierte Einwohnerin von Rostock meine Kundin. Wann haben Sie ihr Geschäft eröffnet? Im nächsten Jahr feiern wir unser sechsjähriges Jubiläum. Ich stelle mir unser Geschäft im nächsten Jahr aber ganz anders vor. Am Anfang hatte ich wenig Geld für Investitionen. Und heute möchte ich alles entsprechend dem Slogan „Chat noir“ („Die schwarze Katze“) umgestalten – in schwarz-weiß. Ich will noch einen Laden im gleichen Stil in Wien einrichten. Das wird dann eine Niederlassung sein. Ich weiß nicht, ob das viel oder wenig ist für fünf Jahre. Vor fünf Monaten dachte ich, dass sei sehr viel. Jetzt kommt es mir als nicht mehr so viel vor. Schade, dass meine Tochter keine selbstständige Erwerbstätigkeit ausüben will. Sie wächst heran, sie ist 16. Ich schlage ihr vor, in der Zukunft eine Niederlassung in Hamburg zu gründen und dass sie dann dorthin umzieht. Es ist doch schwer ohne Geschäftspartner. Haben Sie eine Wirtschaftsausbildung? Leider nicht. Ich hatte keine Zeit dafür. Und in der Ukraine war diese Sphäre damals schlecht entwickelt. Jetzt merke ich, dass es mir an Fachkenntnissen mangelt. Beispielsweise fehlen mir Kenntnisse darüber, wie ich mich präsentieren soll. Andererseits kann man einen Hochschulabschluss haben und dabei keine Berufserfahrung. Ich habe mit 12-13 Jahren angefangen, bei meinem Vater zu arbeiten. Mit 15 habe ich vier von seinen Betrieben geleitet. Deswegen habe ich damals eine enorme praxisbezogene Erfahrung kostenlos erhalten. Anna, wie haben Sie während der Unternehmensgründung bürokratische Hindernisse überwunden? Das ging schnell. Alles war so einfach. Hauptsache, man findet gute Räume. Jetzt eröffne ich einen Laden in Wien und weiß schon genau, wo er sich befinden soll. Ich habe jetzt ein feines Gespür dafür. Keiner hat uns damals an der Unternehmungsgründung gehindert, im Gegenteil – wir haben von der Stadt Hilfe erhalten. Als ich gekommen bin und gesagt habe, dass ich mein eigenes Unternehmen aufbauen möchte, wurde mir gesagt, dass man mir helfen wird. Man hat mir meine Wohnung und den Lebensunterhalt bezahlt. Wir haben Einstiegsgeld erhalten. Wäre ich eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern gewesen, wäre es, denke ich, sehr schwer gewesen. Das sind doch enorme Ausgaben. Da mein Mann gearbeitet hat, haben wir alles geschafft. Wie wichtig sind aus Ihrer Sicht Sprachkenntnisse? Das ist das Wichtigste. Könnte ich perfekt Deutsch, hätte ich vielleicht schon in ganz Deutschland Niederlassungen. Es gibt aber Leute, die nach Deutschland mit Sprachkenntnissen kommen und nichts tun wollen. Es kommt auf die einzelne Person an. Haben Sie enge Kontakte zu anderen russischsprachigen Unternehmern in Rostock? Wissen Sie, in solchem Alter kann es keine neuen Freunde geben. Wir haben sehr viele Bekannte. Ich habe aber keine Zeit, um Kontakte zu pflegen. Das ist auch nicht nötig. Als ich hierher gekommen bin, dachte ich, dass uns die Immigration vereinigen soll, da wir alle Russen sind. Das war aber nicht der Fall: die Immigration erbost den Menschen. Man unterstützt sich hier gegenseitig nicht. Anna, welchen Tipp würden Sie all denen geben, die aus den GUS-Staaten nach Deutschland kommen und hier ein Unternehmen gründen wollen? Man soll gar keine Angst haben. Man muss an sich selbst glauben und weitergehen. Deutschland ist ein perfektes Land für Existenzgründung. Hier gibt es alles dafür. Man muss nur arbeiten. Ich glaube, das betrifft hier jeden Bereich, nicht nur das Unternehmertum.
|
|
Newsletter |