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Geschichten aus dem LebenZwischen zwei Kulturen

Der kleine Prinz in Potsdam

 

Designerin und Modeschöpferin Elvira Savranski ist 1995 aus Moldawien nach Deutschland gekommen. Sie erzählt uns die Geschichte der Entstehung ihrer Musikschule „Der kleine Prinz“.

Elvira, erzählen Sie uns bitte, wo kommen Sie her und seit wann sind Sie in Deutschland.

Ich komme aus Moldawien, aus Kischinau, nach Deutschland kam ich im Jahre 1995. In Kischinau hatte ich einen Abschluss als Modedesignerin gemacht und widmete mich dem Design. Ich gründete sogar mein eigenes Miniatelier. Aber als mein Kind geboren wurde, entdeckte ich meine Berufung als Lehrerin. Ich wollte einer Lehrtätigkeit nachgehen – zuerst meiner Tochter und dann anderen Kindern etwas beibringen. Ich wollte meiner Tochter alles gleichzeitig beibringen – Musik, Englisch, Schach, Tanzen. Da es aber schwierig ist, dem eigenen Kind Unterricht zu geben, gründete ich eine Schule für Kinder.

Noch in Kischinau?

Ja. Es war eine Schule mit kreativem Ansatz, die Kinder fürs Lyzeum vorbereitete. Es war eine Zeit, in der gerade Lyzeen aufkamen, in einigen von ihnen wurden Kinder gleich in die zweite Klasse aufgenommen, so dass der Bedarf an Vorbereitungskursen sehr groß war. Und ich hatte einen Business-Plan entworfen. Damals gab es private Vorbereitungskurse, es war eine kostspielige Angelegenheit. Man nahm Einzelunterricht, was nicht so gut ist, weil die Kinder Gruppenarbeit mögen, deswegen gründete ich eine Schule, die Gruppenunterricht zu erschwinglichen Preisen anbot. Die Kinder hatten Spaß, zusammen mit ihnen lernte auch  meine Tochter. Dann wurde sie groß und ging gut vorbereitet aufs Gymnasium. Sie hatte gute Noten, und ich leitete weiter diese Schule. So hatte ich bereits in Kischinau Erfahrung im Unterrichten von Kindern.
Als wir nach Deutschland kamen, wollte ich sofort meine eigene Schule aufmachen. Ich wusste noch nicht genau, in welche Richtung, aber in Gedanken kam ich immer wieder zurück zu diesem Thema. Ich wurde häufig irgendwohin eingeladen, in der jüdischen Gemeinde gründete ich, zum Beispiel, eine Design-Schule. Wir arbeiteten einige Monate lang, aber es gefiel mir nicht besonders, weil alles auf dem Spaßniveau war, nichts Ernstes. Damals bin ich an viele Dinge wie in der Sowjetunion herangegangen – man beschäftigt sich mit einer Sache ernst und bringt sie zu Ende oder man lässt es gleich sein. Deswegen hatte ich damals keine Motivation, eine Schule zu gründen.
Seitdem sind viele Jahre vergangen, ich habe mich europäisiert, oder sagen wir es mal so, bin deutsch geworden, bei mir hat sich eine entsprechende Mentalität herausgebildet. Jetzt stimme ich darin überein, dass man keinen Druck auf Kinder ausüben sollte, sie zu nichts zwingen, wie es in unserer Kindheit üblich war. Die Kinder sind unterschiedlich, sie haben unterschiedliche Begabungen und Wünsche, sowie es verschiedene Lehrer gibt. Man muss sie nur richtig zusammenbringen. Es gibt Eltern, die wollen, dass mit ihren Kindern strenger umgegangen wird – bitteschön, ich suche für sie passende Lehrer aus. Es gibt ebenfalls Eltern, die sagen: „Mein Kind will heute üben, dann soll es das machen. Morgen will es nicht üben, wir warten bis morgen ab oder versuchen, es umzustimmen.“ Für ein solches Kind finden wir ebenfalls einen passenden Lehrer. Ich suche die passenden Lehrer aus und biete sie entsprechenden Kindern an. In diesem Sinne haben wir ein flexibles System.

Seit wann existiert die Musikschule „Der kleine Prinz“?

Die Schule hat im Sommer 2010 den Betrieb aufgenommen.

Welches Alter haben die Kinder, die Ihre Schule besuchen?

Es sind unterschiedliche Altersgruppen vertreten – von drei bis neunzig, zu uns kommen also nicht nur Kinder. Ich möchte die Seniorengruppe erweitern, weil die Senioren die dankbarste, die angenehmste Altersgruppe ist. Die Menschen in diesem Alter sind frei, keiner zwingt sie zu kommen, sie sind hochmotiviert. Und gleichzeitig sind sie aufnahmefähig wie Kinder, sehr gütig und offen. Ich möchte für sie Gruppenunterricht organisieren, damit sie mehr miteinander kommunizieren, vielleicht auch sie zur Teilnahme an Konzerten motivieren. Kinderkonzerte organisieren wir regelmäßig, weil wir wissen, dass Kinder auftreten  müssen. Die Eltern sollen ihre Kinder sehen, vielleicht vergleichen, die Jüngeren sollen sich an Erfahreneren orientieren. Das Gleiche möchte ich für Senioren, sie haben aber noch Angst, genieren sich und sagen, sie wollen nur für sich, in ihrem Familienkreis spielen. Aber ich hoffe, sie mit der Zeit umzustimmen.

Wie viele Lehrer sind bei Ihnen tätig?

Zurzeit nur fünf – für Klavier und Gitarre. Aber wir brauchen noch  mehr Lehrer, weil einige Lehrer noch Studenten sind und nicht so viel Zeit haben. Sie können nicht so viele Schüler aufnehmen – drei oder fünf, nicht mehr. Und ich bin der Meinung, so ist es besser, weil man dann eine größere Auswahl und mehr Kombinationsmöglichkeiten hat.

Wie viele Schüler haben Sie?

Im Schnitt hat jeder Lehrer vier bis fünf Schüler, insgesamt also um die zwanzig Schüler. Die Schule existiert seit einem Jahr, es ist nicht schlecht dafür, finde ich. Wir haben flexible Preise. Im Sommer, zum Beispiel, habe ich ein zusätzliches Sommerangebot mit großen Rabatten, weil alle wegfahren. Wer aber hier bleibt und Zeit hat, kann herkommen und lernen. Außerdem haben wir Jahres- und Halbjahresverträge, vier- und dreimonatige Verträge, Verträge für Studenten, Familienermäßigungen, für Geschwisterkinder zum Beispiel.

Elvira, erzählen Sie uns bitte von Ihren zukünftigen beruflichen Plänen.

Mein Mann und ich haben vor, ein Museum zu gründen, es ist unser alter Traum – ein Museum für alte Musikinstrumente. In erster Linie werden da Klaviere und Flügel vertreten sein, aber nicht nur. Wir haben bereits vieles zusammen. Mal schauen, wann es uns gelingt, unseren Traum zu verwirklichen. Außerdem habe ich vor, in meiner Schule zwei Richtungen zu verbinden – Farbe und Musik. Ich will Gruppen schaffen, in denen Kinder sich sowohl mit Musik, als auch mit Kunst beschäftigen. Ich weiß aber noch nicht, was für ein Konzept ich als Grundlage nehmen werde. Wir brauchen auch andere, größere Räumlichkeiten.

Warum haben Sie beschlossen, nach Deutschland zu kommen? Sie sagten, in Kischinau hatten Sie Möglichkeiten, sich zu entfalten, Sie hatten eine Arbeit, die Ihnen Spaß gemacht hat.

Ja, wir sind vor allen Dingen aus politischen Gründen umgezogen, wegen einer instabilen wirtschaftlichen und sozialen Situation. Ich hatte eine interessante Arbeit. Ich wäre wahrscheinlich gar nicht weggezogen, wenn der Krieg nicht ausgebrochen wäre. Wir waren gezwungen, im Sommer unsere Wohnung zu verlassen, zum Opa aufs Land zu fahren und dort den ganzen Sommer zu verbringen. Überall wurde geschossen, es herrschten unhygienische Zustände, die Menschen grillten irgendetwas auf den Straßen auf ihren Kerosinherden. Ich habe diesen Sommer zum Glück nicht erlebt, wir mussten aber zurückkehren, mein Kind musste zur Schule. Es gab noch eine Reihe an Gründen, aber der wichtigste Grund war dieser Krieg. Der Krieg hat uns den entscheidenden Auftrieb gegeben, wir haben schnell die Entscheidung getroffen und sofort die Papiere eingereicht. Wir sind alle zusammen umgezogen, mit der ganzen Familie.

Wie gestaltete sich bei Ihnen die Gewöhnung an das neue Land, an eine neue Stadt und eine neue Sprache?

Ich habe mich ziemlich schnell gewöhnt und integriert. Man muss sagen, ich habe eine ziemlich deutsche Mentalität. Ich mag Ordnung, Klarheit, Organisation, ich arbeite gerne unter solchen Arbeitsbedingungen. Das erste, was ich verstanden habe, war, dass man die Sprache lernen muss. Wir kamen nach Deutschland, und bereits nach einer Woche habe ich mich für einen Deutschsprachkurs eingeschrieben. Und meine Tochter sperrte ich für ein paar Stunden im Zimmer ein und sagte zu ihr: „Wenn ich wieder komme, musst du zehn neue Verben gelernt haben.“ Ja, so eine strenge Mutter war ich. Was sollte ich tun? Wir hatten nur anderthalb Monate bis zum Schulbeginn. Mein Kind konnte kein Wort Deutsch, musste aber in eine deutsche Schule. So lernte ich selbst die Sprache und brachte sie meiner Tochter bei. Manchmal habe ich sie zu den Kursen mitgenommen. Sie hielt es tapfer durch, kleines achtjähriges Mädchen, sie saß neben mir. Sie wusste schon damals als Kind, dass man lernen muss.
Eine Beziehung zu Deutschland habe ich bereits seit meiner Kindheit. Als ich klein war, hatte mein Vater Kinderzeitschriften aus verschiedenen Ländern für mich abonniert, unter anderem deutsche. Er hat sie mir vorgelesen und übersetzt, er kann viele Fremdsprachen. Und es hat sich so ergeben, dass wir in Kontakt mit einer deutschen Familie getreten sind. Ich hatte einen Briefkontakt mit einem deutschen Mädchen, und unsere Väter haben uns diese Briefe übersetzt. Der Vater des Mädchens war Professor an der Humboldt-Universität in Berlin. Es war eine richtige Freundschaft, wir schickten uns gegenseitig Aufkleber, Postkarten, Zeichnungen. Wir sind bis jetzt in Kontakt mit diesem Mädchen. Dieser Umstand hat sich wahrscheinlich irgendwie ausgewirkt auf mein Verhältnis zu Deutschland.
Es war nicht einfach für mich, hierher zu ziehen, das Umziehen fällt einem immer schwer, ich habe es  mir aber so vorgestellt: Die Erde ist rund, und man muss sich einfach auf dieser Kugel fortbewegen und an einem anderen Punkt alles von neuem anfangen. Mein Vater ist ja so ein aktiver Mensch, und vielleicht habe ich diese Eigenschaft von ihm übernommen und hier mein Leben ebenfalls so aktiv angefangen. Ich trat in Kontakt mit Einheimischen, mit Deutschen, denn nur so kann man seine Sprachkenntnisse festigen.

Bereuen Sie es nicht, dass Sie sich zu diesem anderen Punkt hier fortbewegt haben?

Überhaupt nicht. Als ich nach einem Jahr zurück nach Kischinau kam, sah ich alles  mit anderen Augen. Mir gefällt es hier sehr gut, ich fühle mich hier wie zu Hause. Das Land passt zu mir, es ist „mein“ Land.

Und die letzte Frage, Elvira. Was würden Sie als eine erfolgreiche Unternehmerin, die alle Etappen durchlaufen hat, denjenigen raten, die aus Russland oder anderen Ländern nach Deutschland gekommen sind und hier ihr eigenes Unternehmen gründen wollen?

Man muss immer bedenken, dass nicht alles sofort klappt. Das Wichtigste ist die Geduld. Ich möchte ein Beispiel mit der Blume anführen. Wenn Sie den Samen in die Erde setzen, wächst die Blume nicht sofort. Damit aus dem Samen eine schöne Blume entsteht, braucht es Zeit, ständige Pflege, rechtzeitiges Gießen und so weiter. Nur so. Schneller ist nicht möglich. So ist es auch beim eigenen Unternehmen.
Und wenn es sich um Eheleute handelt, ist das gegenseitige Einvernehmen wichtig.  Mein Mann und ich z.B., ich besitze eine Schule, mein Mann hat einen Musikinstrumentenladen und restauriert Musikinstrumente, wir betreiben Familienbusiness – wir arbeiten die ganze Zeit zusammen. Vielleicht ist es einfacher. Wir haben denselben Rhythmus, wir sprechen von den gleichen Dingen. Wenn aber nur einer sein eigenes Unternehmen hat, so muss der andere  - Ehefrau oder Ehemann - sich anpassen. Man kann nicht einfach in Urlaub fahren. Manchmal kommt es vor, dass man nur an die Arbeit denken muss, es gibt keine freien Tage. Geduld und gegenseitiges Verständnis – das sind meiner Meinung nach zwei wichtigste Punkte.

Elvira, vielen Dank für das interessante Gespräch! Wir wünschen Ihnen und Ihrer Schule weiterhin viel Erfolg!

Ein Projekt des Deutsch-Russischen Austausch e.V. im Rahmen des Bundeprogramms "XENOS - Integration und Vielfalt". Deutsch-Russischer Austausch e.V.