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Geschichten aus dem LebenZwischen zwei Kulturen

Vom Cembalo bis zum E-Piano

 

Igor Chernyavskiy ist ein Instrumentenstimmer und Restaurator von Musikinstrumenten. Heute lebt er in Potsdam und leitet erfolgreich das Unternehmen "Brandenburgisches Klavierhaus", wo unter anderem Tasteninstrumente verkauft und repariert werden.

Igor, erzählen Sie uns bitte, wo sind Sie geboren, womit haben Sie sich in Ihrer Heimat beschäftigt und wann sind Sie nach Deutschland gekommen?

Ich bin in Odessa geboren. Da bin ich auch zur Schule gegangen. Einen großen Teil meines Lebens – fast ein Vierteljahrhundert - habe ich in Magadan verbracht. Da ich in Mathe schlecht war, habe ich mit 16 angefangen, an der Musikfachschule Magadan Posaune zu studieren. Damals habe ich mich für die Reparatur von kleinen Sachen begeistert, beispielsweise habe ich Fotokameras repariert. Das ist mir immer gut gelungen, obwohl ich alles aufs Geratewohl gemacht habe. Es war für mich immer interessant, wie und woraus etwas gemacht wird. Ich habe einen Klavierstimmer von meiner Musikfachschule beim Arbeiten beobachtet. Mittlerweile habe ich mir seine Technik so angeeignet, dass ich ihn manchmal ersetzt habe. Danach habe ich eine Ausbildung zum Instrumentenstimmer und – restaurator bei der Institution "Rembyttechnika" gemacht und mit einem Diplom abgeschlossen. Parallel habe ich am Staatlichen Fernöstlichen Institut für Kunst in Vladivostok studiert. 1984 habe ich angefangen, in diesem Bereich zu arbeiten: bin durch das ganze Tschukotka gereist und habe in den weit entferntesten Ecken Instrumente gestimmt. Während der Perestrojka gab es weniger Arbeit. Es hat sich eine traurige Situation herausgebildet. Leute haben alles verlassen und sind weggefahren. Ganze Siedlungen an der Autobahn Kolymskaja standen leer. Die Kultur ist in den Hintergrund gerückt. Man hat nur an das tägliche Brot gedacht. Was eigentlich sehr nachvollziehbar ist.

Womit haben Sie sich damals beschäftigt?

Anfang der 1990er ist zu uns eine Welle von amerikanischen Kulturkollektiven geflutet, weil Alaska nah und Kalifornien auch nicht weit waren. Ich bin als Stimmer mit einem Chor aus Kalifornien durch Kolyma gefahren. Es ergab sich von selbst, dass ich während dieser Fahrt die Aufgaben des Dolmetschers übernommen habe. Später, im Jahr 1992, haben mit mir Geologen aus Alaska Kontakt aufgenommen und gefragt, ob ich mit ihnen bei der Gold- und Silbergewinnung arbeiten möchte. Ich habe zugesagt und dann in einer Goldmine gearbeitet. Danach bin ich nach Alaska gefahren, wo ich ein halbes Jahr einen Fachkurs zur Entwicklung von Klein- und Mittelunternehmen in der Branche Goldförderung an einer Universität belegt habe. Nach diesem Kurs wurde ich als Übersetzer bei einem großen goldfördernden Joint-Venture-Unternehmen mit Gründern aus Russland, Kanada, Neuseeland, Australien und England angestellt. So habe ich angefangen in einer Goldmine zu arbeiten. Die Goldmine war ca. 800 km von Magadan entfernt. Bis Ende der 1990er habe ich in dieser Branche gearbeitet und bin zum Manager für Transport und Rüstungslieferung aufgestiegen.
Danach hat sich mein privates Leben so entwickelt, dass ich in Deutschland gelandet bin. Hier habe ich zuerst auf Baustellen gearbeitet und in Restaurants gesungen. Danach bot sich eine Gelegenheit zu riskieren und ein Unternehmen in Potsdam zu übernehmen. Ich habe riskiert und es übernommen. Es gibt jedoch noch nichts, womit ich prahlen kann, weil noch wenig Zeit vergangen ist.

Seit wann leben Sie in Deutschland?

Seit September 2003.

Wie haben Sie Deutsch gelernt?

Ich habe einen Kurs absolviert. Ehrlich gesagt, habe ich das nur wegen der Papiere gemacht. Jeder lernt eine Sprache auf seine eigene Weise. Ich kann eine Sprache durch Hören lernen.  Als ich noch in den USA gelebt habe, habe ich begriffen, dass man möglichst wenig mit seinen Landsleuten sprechen muss, zumindest in der ersten Zeit, man soll das russische Fernsehen lassen. Ich habe mein Deutsch dank Fernsehsendungen und Hollywood-Filmen verbessert, die mir schon bekannt waren und die ich auf Deutsch mehrmals gesehen habe.

Sie haben gesagt, dass Sie eine Firma übernommen haben. Wann ist das passiert?

Ja, meine Firma habe ich 2007 übernommen. Jetzt heißt sie "Claviere in Potsdam"

Erzählen Sie uns bitte, womit beschäftigt sich Ihre Firma?

Mit absolut allem, was Tasteninstrumente angeht. Mit Ausnahme der Orgel. Ansonsten alle Tasteninstrumente – Klavier, Flügel, Keyboard, Cembalo. Wir machen alles, von A bis Z: Restauration, Stimmung, Reparatur, Ersatz und alles Mögliche. Ich bin unter anderem der offizielle Vertreter von einer österreichischen und einer japanischen Firma für die Herstellung von Musikinstrumenten. Darüber hinaus habe ich Musikinstrumente, die ich selbst zusammengebaut habe – von den altertümlichen bis zu ganz modernen Instrumenten.

Arbeiten Sie allein?

Nein. Angefangen habe ich allein. Als sich die Firma entwickelt hat, habe ich Arbeiter in der Werkstatt angestellt, weil ich es allein nicht mehr schaffte. Eine Person arbeitet bei mir auf Vertragsbasis und noch drei – auf Honorarbasis.

Igor, sind Sie damit zufrieden, wie sich Ihre Firma entwickelt?

Ja, ich bin immer zufrieden. Unzufriedenheit im Leben ist eine Art eines langsamen Selbstmordes. Wenn etwas Schlimmes passiert, heißt das, dass unbedingt auch etwas Gutes passieren wird, wenn nicht morgen – dann übermorgen. Wenn es das Schlimme nicht gäbe, wie würden wir dann wissen, was das Gute ist?

Sie haben Recht. Sind Ihre Kunden überwiegend Deutsche?

Überwiegend ja. Wir haben russischsprachige Kunden, aber nur wenige und das sind Menschen, die schon von langer Zeit nach Deutschland gekommen sind und sich hier gut eingelebt haben.

Was haben Sie, als Russe, an Deutschland am meisten bewundert, als Sie hierher gekommen sind?

Ich war schon einigermaßen vorbereitet, weil ich viel mit Amerikanern und Vertretern anderer westlicher Kulturen zu tun gehabt habe. Das Einzige, was mich erstaunt hat, war, dass Europa im Vergleich zu unseren Weiten puppenhaft ist. Nachdem ich im Magadanskaja Gebiet gelebt habe, das fast die gleiche Größe wie ganz Westeuropa und nur 200.000 Einwohner hat, schien mir hier alles winzig zu sein.

Igor, welchen Tipp würden Sie neu einsteigenden russischsprachigen Unternehmern geben?

In erster Linie soll man gegenüber den Gesetzen, nach denen die Gesellschaft lebt, offen sein. Offen und sehr tolerant. Man soll Schritte nur nach vorne machen und, egal was passiert, sollte  man es vermeiden, Schritte zurück zu machen. Wenn man nur einen Schritt zurück gemacht hat, muss man in der Regel zehn Schritte nach vorne machen, um den Ausgangspunkt zu erreichen.

Ein Projekt des Deutsch-Russischen Austausch e.V. im Rahmen des Bundeprogramms "XENOS - Integration und Vielfalt". Deutsch-Russischer Austausch e.V.