Geschichten aus dem LebenZwischen zwei Kulturen |
Aus Leipzig in die ganze Welt!
Natalja Neuwirt, Juristin und gelernte Arzthelferin, hat nach ihrer Ankunft in Deutschland ein Reisebüro in Leipzig eröffnet. Zurzeit erwartet sie die Genehmigung des Amtsgerichts, um sich als freiberufliche Juristin registrieren zu lassen.
Natalja, woher sind Sie nach Deutschland gekommen und wie lange leben Sie schon hier? Das war im Oktober 2001, wir lebten in Sibirien. Mein Vater war deutscher Kriegsgefangener, er und seine Familie wurden 1945 nach Sibirien geschickt und dort wurden wir - vier Kinder - geboren, in einer speziellen Zwangssiedlung. Ich habe ein Dokument, das die Rehabilitierung bestätigt. Sie wurden für die Jahrgänge bis 1956 erteilt, und ich bin 1954 geboren. Diese Siedlung war entfernt von jeder Zivilisation, in der Region Omsk. Ich habe dort meine ganze Kindheit verbracht und bin dort zur Schule gegangen. Anschließend habe ich 20 Jahre in Kasachstan gelebt. 1991 bin ich nach Russland gezogen, genau zur Zeit des Zerfalls der Sowjetunion. Die Universität – Sverdlovskij juridicheskij - habe ich in Russland abgeschlossen. Danach habe ich in Russland gelebt und arbeitete dort zuerst in einer Bank und danach als selbständige Juristin. Alle meine Verwandten zogen 1977 mit meinem Vater und meiner Mutter nach Deutschland, ich blieb alleine in Russland. Und 2001 kam auch ich mit meinen Kindern hierher. Also bin ich hier seit 2001. Ich habe zwei Diplome, Arzthelferin und Juristin. Beide Diplome ließ ich prüfen, aber keines von beiden wurde mir anerkannt, denn gerade im Mai 2001 (ich kam im Oktober) wurde das Gesetz im Bereich der Medizin geändert. Ich musste ein Jahr ein Praktikum machen und anschließend ein Examen ablegen. Und das juristische Diplom wurde nicht anerkannt, weil wir Examen ablegen, und in Deutschland eine Diplomarbeit geschrieben werden muss. Man schlug mir vor, zwei Jahre zu studieren und anschließend eine Diplomarbeit zu schreiben, um das Diplom anerkennen zu lassen. Aber wenn man bedenkt, dass ich damals schon über 40 war, verstand ich, dass ich keine Zeit dazu hatte, das zu tun. Ich belegte nur zehnmonatige allgemeinbildende Sprachkurse des Europäischen Sozialfonds. Es gab Unterricht zu korporativem Recht, man erklärte uns, welche Formen der selbständigen Tätigkeit es in Deutschland gibt. Ich wusste sofort, dass ich Privatunternehmerin werde. Natürlich war es anfangs schwer, ich konnte die Sprache nicht, wie sollte ich alle Formulare ausfüllen? Ich hatte kein Arbeitslosengeld und kein Recht darauf, es vom Arbeitsamt zu bekommen, aber ich hatte Recht auf Zuschüsse vom Europäischen Sozialfonds. Ich habe einen einmaligen Zuschuss von ihnen bekommen und seit dem 1. Januar 2004 arbeitete ich schon offiziell. Womit beschäftigt sich noch Ihr Büro? Unser Büro ist ein Reisebüro. Wir machen unterschiedliche Visa: Für Weißrussland, Kasachstan und die USA. Wir beschäftigen uns mit Kuraufenthalten in Polen, Tschechien, Russland. Hier hilft mir natürlich meine medizinische Ausbildung. Man kann bei uns auch Tickets kaufen - für Züge, Flugzeuge, Busse, Fähren. Natalja, haben Ihnen all diese Einrichtungen geholfen, an die Sie sich gewendet haben? Ist es allgemein leicht, in Deutschland bürokratische Probleme zu lösen? Im Vergleich zu Russland, zum Beispiel, wie scheint es Ihnen? Im Prinzip ist es leicht, natürlich. Aber bevor ich mein Reisebüro eröffnet habe, habe ich ein paar Seminare besucht. Ich verstand nicht alles, aber meine Aufgabe war es, herauszufinden, welcher Unterschied zwischen "selbstständig" und "freiberuflich" besteht. Man muss hier ein Ziel und den Willen haben. Ich wusste, dass ich nicht einfach so herumsitzen kann. Straßen zu kehren ist auch nichts für mich. In einem deutschen Kollektiv zu arbeiten, dazu fehlen mir Sprachkenntnisse, ich würde nervös sein und mein Leben verkürzen. Ich verstand, dass dies für mich die einzige Variante ist. Ich dachte - ich fange meine eigene Sache an und schauen wir, was kommt. Und danach kam es in Schwung, wir haben so viele Verträge unterschrieben. Und wie ist Ihr Deutsch? Ich bin sehr unzufrieden damit, dass ich schlecht deutsch spreche. Auf dem alltäglichen Niveau kann ich reden, aber fließend und frei zu einem komplizierteren Thema reden - das nicht. Ich versuche jetzt, einen Lehrer zu finden, um abends nach der Arbeit zu lernen. aber es fällt mir schwer, Zeit dafür zu finden, ich bin täglich bis ca. 19 Uhr bei der Arbeit. Außerdem spreche ich meistens nur russisch - sowohl im Büro mit Kunden, als auch zu Hause. Natalja, wie fühlen Sie sich in Deutschland? Warum haben Sie sich überhaupt entschlossen, herzuziehen? Sie hatten doch eine gute Arbeit in Russland... Ja, natürlich, ich zog 1991 aus Kasachstan weg und begann sofort, in einer Bank zu arbeiten. Wir hatten genug Geld, lebten gut. Anschließend registrierte ich mich als Privatunternehmerin und arbeitete selbständig. Aber meine Mutter bat mich immer, herzukommen. Hier war die ganze Familie - 40 Personen zogen nach Deutschland, alles Verwandte. Außerdem gab es zu der Zeit bei uns eine sehr hohe Kriminalität, Leute wurden auf der Straße grausam zusammengeschlagen. Und das spielte natürlich auch eine große Rolle. Haben Sie sich an die deutschen Lebensformen gewöhnt? Mich quälen natürlich sehr die fehlenden Sprachkenntnisse. Ich finde, man muss ein vollwertiger Mensch sein, und das schränkt mich, meiner Ansicht nach, schon sehr ein. Aber natürlich its es im Großen und Ganzen positiv. Zum Beispiel, dass ich gute Sachen erreiche, dass ich vielen Leuten helfe. Das macht mir sehr viel Spaß. Aber die Sprache, natürlich… Natalja, welchen Rat würden Sie denen geben, die aus Russland oder aus anderen GUS-Staaten kommen und in Deutschland ein Unternehmen gründen bzw. sich selbständig machen wollen? Zunächst muss man den Markt erforschen und analysieren. Welche Dienstleistungen fehlen und welche werden gebraucht. Denn – ein eigenes Unternehmen zu eröffnen, das ist die eine Sache – und die andere – das zu finden, was unerlässlich ist. Heutzutage ist das sehr schwer, weil der Markt überfüllt ist, alles ist schon durchdacht. Aber man muss sich trotzdem Mühe geben, seine Nische zu finden. Wenn man sie findet, wird man erfolgreich. Die Hauptsache ist, dass die Initiative, die Energie da sind, der Wille zu arbeiten, etwas zu erreichen und nicht auf Kosten des Staates zu leben. Wir haben uns jetzt zum Beispiel entschieden, einen deutsch-russischen Unternehmerverband in Leipzig zu gründen. Denn sonst sind alle für sich. Manchmal kommt jemand, um einen Pass zu beantragen und ich frage – Was machen Sie? Unternehmer. Und wer, wo, wie? Arbeitet 10-15 Jahre und kennt niemanden, niemand kennt ihn. Die Jugend sucht nach Praktikumsplätzen, wohin sollen sie? Wenn es einen Verband gibt, kann man die Leute anrufen und sagen: "Nimm den als Praktikant". Die Idee ist gut, ich hoffe, dass wir sie realisieren können.
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