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Geschichten aus dem LebenZwischen zwei Kulturen

Tausend Möglichkeiten

 

 

Vasyl Senyuk ist Inhaber einiger Unternehmen in Leipzig. Darüber, wie sein Traum, Unternehmer in Deutschland zu werden, in Erfüllung gegangen ist.

 

Vasyl, erzählen Sie uns bitte, wo kommen Sie her und was haben Sie in Ihrer Heimat gemacht.

Ich komme aus der Ukraine, aus Uschgorod. Ich wurde in Iwan-Frankiwsk  geboren, lebte aber in Uschgorod ab meinem 14. Lebensjahr. Hier ging ich zur Schule, erwarb an der Kunstfachhochschule einen Abschluss als Maler-Restaurator. Und danach gründete ich in Uschgorod meine eigene Möbelfirma. Da für meine Arbeit ein Hochschulabschluss benötigt wurde, schloss ich das Studium an der Leningrader Forstakademie ab.

Wann sind Sie nach Deutschland gekommen?

Nach Deutschland kam ich Ende 1998. Sobald ich eine Aufenthaltsgenehmigung bekam, ging ich arbeiten. Ich habe hier immer gearbeitet und keinen einzigen Tag von der Sozialhilfe gelebt. Zuerst arbeitete ich in Leipzig als Fahrer in einem Krankenhaus. Dann arbeitete ich an verschiedenen Orten, unter anderem als Restaurator, übte also meinen eigentlichen Beruf aus. Danach war ich als Polier auf einer Baustelle tätig. Und anschließend wurde ich im Bauwesen selbständig, eröffnete mein eigenes Bauunternehmen. Das war im Jahre 2003.

Warum haben Sie beschlossen, ein selbständiger Unternehmer zu werden?

Ich wollte schon von Anfang an mein eigenes Unternehmen gründen, aber ich hatte so eine Aufenthaltsgenehmigung, die es nicht gestattete, in den ersten drei Jahren einer selbständigen Tätigkeit nachzugehen. Ich konnte nur als Angestellter arbeiten. Deswegen wurde ich erst im Jahre 2003 selbständig, früher durfte ich es nicht. Aber, wie schon gesagt, ich wollte immer ein Unternehmer sein. Ist es denn möglich, auf diese Handlungsfreiheit zu verzichten, um für jemand anderen zu arbeiten? Und warum habe ich mich ausgerechnet für das Bauwesen entschieden? Weil es meiner Meinung nach eine am wenigsten ausgefüllte Lücke darstellt. Zurzeit ist ganz Deutschland von Baustellen erfasst, besonders Ostdeutschland.
Und es herrscht ein permanenter Arbeitskräftemangel. Man spricht von hoher Arbeitslosigkeit. In Wirklichkeit aber fehlt es an qualifizierten Fachleuten und guten Arbeitern. Und viele wollen auf einer Baustelle nicht arbeiten, es ist eine schwere Arbeit.

Vasyl, was genau macht Ihre Firma?

Wir kaufen Objekte, sanieren sie und verkaufen oder vermieten sie. Wir arbeiten hauptsächlich in Leipzig. Wir hatten ein paar Objekte in Berlin, aber im Großen und Ganzen sind wir in Leipzig tätig. Hier haben wir noch genug Arbeit. Zurzeit haben wir z. B. ein großes Objekt im Zentrum der Stadt. Hier sehen Sie das Foto aus dem Jahr 1932 – wir geben dem Gebäude sein altes, historisches Aussehen zurück. Denn es sieht heute ganz anders aus, alle Stuckdekorationen wurden abgerissen, das Gebäude erkennt man nicht wieder. Wir haben es vor einem Jahr gekauft. Es soll ein Hotel werden. Dieses Objekt ist nicht für den Verkauf bestimmt, wir werden es nur vermieten.

Sind Sie nur mit großen Objekten beschäftigt? Kaufen Sie auch einzelne Wohnungen?

Wohnungen haben wir früher renoviert. Am Anfang verrichtete ich die einfachsten Arbeiten. Die ersten drei Monate verbrachte ich nur mit Auslegen von Laminat, und dann gab es einen rasanten Sprung – ich kaufte gleich ein Haus. Und seitdem habe ich ziemlich schnelle Fortschritte gemacht. Heute besitze ich zwei Unternehmen – eine Haupt- und eine Tochterfirma. Das Hauptunternehmen heißt „IKS – ImmobilienKomplettService GmbH“, es ist eine Baufirma. Und „Tri.con Facility Management GmbH“ – es ist die Tochtergesellschaft, die auf der Basis von „IKS“ gegründet wurde. Hier wird weder gebaut noch restauriert, sondern wir kaufen Objekte und beraten außerdem unsere Kunden in Fragen der Planung und Vermarktung von Immobilien.

Vasyl, wie ist die Anmeldung zum selbständigen Unternehmer vonstatten gegangen? Ist es Ihrer Meinung nach eine schwierige Angelegenheit?

Es ist sehr einfach. Wenn keine staatlichen Zuschüsse benötigt werden, ist es wirklich recht unkompliziert. Einfach hingehen und 40 Euro zahlen.

Wie viele Menschen arbeiten in Ihrem Unternehmen?

Bei der Firma „Tri.con“ arbeite nur ich. Bei „IKS“ aber sind 14 Leute beschäftigt. Es ist aber saisonabhängig. Wir haben 8 ständige Mitarbeiter. Wenn wir aber ein Objekt haben, wo mehr Arbeiter gebraucht werden, stellen wir mehrere ein.

Sind Ihre Mitarbeiter Russen?

Es kommt darauf an. Es gibt sowohl Deutsche, als auch Russen. Mein Stellvertreter z. B. ist ein Deutscher.

Als Sie aus der Ukraine weggezogen sind, fiel es Ihnen schwer, sich an Deutschland, an den neuen Lebensstil, neue Lebensumstände zu gewöhnen?

Ich verspürte Nostalgie. Sie schlummert bis jetzt tief in mir drin. Deswegen versuche ich, einmal in drei Monaten in die Ukraine zu fahren. Aber an irgendwelche Probleme oder Schwierigkeiten kann ich mich nicht erinnern. Alles verlief reibungslos und unproblematisch. Irgendwelche Kleinigkeiten gibt es immer, aber die vergisst man schnell.

Haben Sie guten Kontakt zu Deutschen?

Sehr guten. Diejenigen Deutschen, die ich kenne, haben eine russische Mentalität, wenn man es so ausdrücken kann. Sie sind mehr Romantiker, als Pragmatiker.

Denken Sie manchmal an die Rückkehr in die Ukraine?

Warum nicht? Sie wissen doch, wie das Leben so ist. Morgen kann irgendwas passieren, so dass die Ukraine mich brauchen wird. Klar werde ich fahren. Ich habe diesbezüglich keine Pläne, wenn es aber plötzlich notwendig ist… Ich kann nicht sagen, dass ich hier für immer bin. Obwohl Leipzig für mich zur zweiten Heimatstadt geworden ist. Da ich hier schon seit langem lebe, fühle ich mich in gewisser Hinsicht sogar heimischer als in Uschgorod.

Vor kurzem wurde in Leipzig die Vereinigung deutsch-russischer Unternehmer ins Leben gerufen. Wissen Sie etwas davon?

Ja, ich war beim ersten Treffen dabei. Das zweite habe ich versäumt, weil ich zu dieser Zeit in der Ukraine war. Ich weiß von der Existenz dieser Vereinigung. Diese Idee finde ich sehr gut. So ein Verein muss existieren. Ich habe mir den aber etwas anders vorgestellt. Ich würde diese Vereinigung auf die kommerzielle Basis stellen. Ich denke, dass es viel beschäftigten Menschen – denjenigen, die diesen Verein ehrenamtlich betreiben wollen – nur sehr schwer gelingen wird, dafür Zeit aufzubringen. Wenn aber der Verein auf kommerzieller Basis stünde, wenn gute Fachkräfte angestellt würden, die für ihre Arbeit Geld bekämen, so würde alles gewissenhaft ausgeführt werden. Dies ist meine Meinung.

Vasyl, kennen Sie russischsprachige Unternehmer, die ehrenamtlich tätig sind, die z. B. aktiv an Sozialprojekten teilnehmen? Ist es für Sie selbst aktuell?

Für mich ist diese Frage sehr aktuell. Eine Zeit lang sponserte ich Projekte zweier gesellschaftlicher Organisationen – die eine war in Merseburg, die andere in Leipzig. In Merseburg finanzierte ich den Schüleraustausch. Wenn irgendwelche guten Projekte, guten Vorsätze vorhanden sind, helfe ich sehr gerne. Für den Lebensunterhalt braucht man ganz wenig. Man möchte aber seine Spuren hinterlassen.

Was würden Sie denjenigen russischsprachigen Unternehmen raten, die erst vor kurzem ihr Unternehmen in Deutschland gegründet haben?

Ich würde ihnen raten, Ziele zu setzen und an ihrer Verwirklichung zu arbeiten. Hier ist es sehr einfach zu arbeiten. Auch wenn man das deutsche Steuersystem und andere Sachen in Betracht zieht, lässt der Staat genug Geld für den Lebensunterhalt. Deshalb sollte man vor nichts Halt machen und sich zum Ziel bewegen. Auf allen Gebieten ist Platz für einen guten Fachmann. Wenn Sie ein guter Fachmann sind, werden Sie nie zu Hause sitzen, jedes Land wird Sie brauchen. Wer etwas will, der findet tausend Möglichkeiten, und wer nicht will, der hat tausend Ausreden.

Ein Projekt des Deutsch-Russischen Austausch e.V. im Rahmen des Bundeprogramms "XENOS - Integration und Vielfalt". Deutsch-Russischer Austausch e.V.