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Geschichten aus dem LebenZwischen zwei Kulturen

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Viktor Timtschenko hat Bücher über den postsowjetischen Raum geschrieben und er ist Chefredakteur der Leipziger russischsprachigen Zeitung „Integral“. Im Interview erzählt er über seinen schöpferischen Werdegang in der Ukraine und in Deutschland.

Viktor, erzählen Sie uns bitte kurz, woher kommen Sie und womit haben Sie sich vor der Ausreise nach Deutschland beschäftigt?

Alles ist ganz einfach. Ich bin in der Stadt Barwenkowo, im Charkower Gebiet geboren. Nach der Schule wollte ich Physiker werden, weil ich von Physik sehr begeistert war. Ich habe mich sogar um einen Studienplatz an einem bekannten Moskauer Institut beworben. Es war aber schwer, sich mit Jungs zu messen, die Spezialschulen bei der Moskauer Staatlichen Universität oder der Sankt-Petersburger Staatlichen Universität absolviert haben. Deswegen bin ich nach Charkow zurückgekehrt und habe in demselben Jahr ein Studium am Institut für Luft- und Raumfahrt an der Fakultät für Raketenbau aufgenommen. Dort habe ich ein Jahr lang studiert, bis ich feststellte, dass es gar nicht mein Gebiet ist. In dieser Zeit habe ich angefangen zu schreiben. Meine Artikel wurden in den Kreiszeitungen veröffentlicht. Deswegen habe ich nach dem 1. Studienjahr das Studium am Institut abgebrochen und bin nach Kiew gefahren. Dort habe ich mich um einen Studienplatz an der Fakultät für Journalismus an der Staatlichen Universität zweimal beworben, bis ich endlich ausgewählt wurde. Nach dem Studienabschluss 1977 habe ich bei der Zeitung „Republikanische Jugend“ gearbeitet und später auch für andere Zeitungen und Zeitschriften geschrieben.
1973 habe ich in einer Internationalen studentischen Baubrigade ein hübsches Mädchen aus Leipzig kennen gelernt und mich in sie verliebt. 1975 haben wir geheiratet. Dann ist sie nach Leipzig zurückgefahren und ich bin in Kiew geblieben. Später ist meine Frau nach Kiew gekommen, wo wir bis zur Perestrojka gelebt haben. Nach der Perestrojka, als sich eine unverständliche Situation herausgebildet hatte und als sich die Perestrojka in ein Scharmützel umgewandelt hatte, haben wir beschlossen, nach Deutschland zu ziehen. Damals hatten wir zwei Kinder. Wir waren materiell gut situiert: ich habe Bücher geschrieben und meine Frau hat an der Fakultät für Germanische und Romanische Philologie Deutsch unterrichtet. Sie hat gut verdient und hatte gute Freunde und Bekannte. Sie wollte gar nicht wegfahren. Ich war der Initiator unseres Umzuges. In erster Linie habe ich mir Sorgen um die Zukunft meiner Kinder gemacht. 1990 sind wir nach Leipzig gezogen, genauer gesagt nach Markkleeberg. Seitdem wohnen wir hier.

Wie hat sich Ihr beruflicher Weg weiter entwickelt?

Das war das Schwierigste. Es war eine ungewöhnliche Zeit, als ich hierher gekommen bin. Das war die Zeit der Veränderungen. Es gab hier eine Organisation namens „Neues Forum“. Sie hat eine Zeitung gegründet, die «Die Leipziger Andere Zeitung» genannt wurde. Ich habe für sie geschrieben. Zuerst auf Russisch, weil ich noch kein Deutsch konnte. Meine Frau hat meine Artikel ins Deutsche übersetzt. Später konnte ich auch auf Deutsch schreiben.
Dann war die Zeitung tot. Ich habe freiberuflich gearbeitet. Ich habe Artikel geschrieben und das Infoblatt „Die Wirtschaft der Ukraine“ herausgegeben. Ich wollte deutsche Unternehmer über die ukrainische Wirtschaft informieren, damit sie in dieses Land Geld investieren. Die Auflage eines solchen Infoblattes zählte nur 35-40 Exemplare. Unter seinen Beziehern waren jedoch Siemens, Philips, Mercedes Benz u s.w.
Als nächstes habe ich ein Buch über Schirinowski geschrieben. Damals ist er in der politischen Szene erst aufgetaucht und Deutsche konnten ihn kaum verstehen. 1998 habe ich in Hamburg noch ein Buch herausgegeben – „Russland nach Jelzin“.  Geschrieben habe ich es, als Jelzin noch an der Macht war. Nach dem Erschienen des Buches, in dem ich eine ausführliche Analyse von russischen kriminellen Strukturen präsentiert habe, wurde ich von der Polizeihochschule, Polizeiverbänden und von privaten Sicherheitsstrukturen eingeladen, Vorträge zu halten. Später habe ich bis 2005 in Köln bei der „Deutschen Welle“ in der ukrainischen Redaktion gearbeitet.
In einem gewissen Moment habe ich beschlossen, mich mit meiner eigentlichen Tätigkeit als Journalist weiter zu beschäftigen, weil ich ja kein Schriftsteller von Beruf bin. Ich habe beschlossen, eine Zeitung herauszugeben. In Leipzig gibt es schon zwei russischsprachige Zeitschriften, deswegen wollte ich eine russischsprachige Zeitung gründen. Ich habe sie „Integral“ genannt. Diese Zeitung hat zwei Vorteile. Erstens kümmere ich mich darum, dass sie interessant und lesbar ist. Zweitens ist sie kostenlos. Eine Zeitung unterscheidet sich von einer Zeitschrift dadurch, dass sie ihre Auflage erhöhen kann. Eine Zeitschrift ist ein teueres Vergnügen. Je stärker die Auflage einer Zeitung ist, desto niedriger sind ihre Produktionskosten. Perspektivisch gesehen sollten wir daher unsere Auflage erhöhen. Die Erhöhung der Auflage führt zur Vergrößerung des Absatzmarktes außerhalb von Leipzig. Das sind unsere Zukunftspläne. Im Moment löst unsere Zeitung eine positive Reaktion aus.

Das heißt, dass es Ihre Idee war, die Zeitung zu gründen und sie Ihnen gehört. Sie sind Chefredakteur?

Ich bin sozusagen alles: Herausgeber, Chefredakteur, Metteur, Setzer und Austräger. Es gibt auch Menschen, die mir helfen, beispielsweise beim Austragen der Zeitung in Leipzig, Chemnitz und Dresden.

Schreiben Sie alle Artikel selbst?

Nein, nicht alle. Einige schreibe ich selbst, den größten Teil von Artikeln schreiben andere Menschen.

Sind Sie grundsätzlich damit zufrieden, wie die Arbeit läuft?

Ja. Die Zeitung existiert seit Oktober 2009, ist noch ganz jung. In dieser Zeit haben wir viel Reklame gemacht, um zu überleben. Zweitens ist unsere Zeitung die auflagenstärkste von den Zeitungen solcher Art. Jetzt müssen wir uns die Struktur ihrer Verbreitung ernst überlegen.

Wie wird Ihre Zeitung finanziert?

Ich bekomme kein Geld dafür. Für den Druck reicht das Geld, das wir von der Werbung bekommen. Wenn das Geld nicht ausreicht, gebe ich mein privates Geld dazu.  Wir haben noch vor, eine gute Webseite,  ein Portal mit Blogs zu erstellen, wo über unsere Artikel diskutiert werden kann.

Würden Sie irgendwann  Ihre Zeitung kostenpflichtig machen? Oder haben Sie darüber noch nicht nachgedacht?

Doch, solche Gedanken hatte ich schon. Was wir jetzt machen, ist aus meiner Sicht Promotion. Ich mache Werbung für die Zeitung, die irgendwann verkauft wird. Die Zeitung kostenpflichtig zu machen, heißt, eine Konkurrenz mit solchen Zeitungen wie „Das russische Deutschland“, „Das russische Berlin“ einzugehen. Das sind bekannte Zeitungen, mit gutem Budget, Personal und einem gutem Ruf. Macht das Sinn? Warum sollte die Zeitung nicht kostenlos sein? Von anderen kostenlosen Zeitungen sollte sie sich durch Folgendes unterscheiden: da sollten vernünftige Sachen veröffentlicht werden. Ich will nicht sagen, dass wir besser oder schlechter als andere sind. Wir wollen anders sein, damit man uns erkennt.

Viktor, haben Sie sich an Deutschland schon gewöhnt? Es war für Sie anscheinend viel leichter als für Ihre Landsleute, sich hier einzuleben, da Ihre Frau Deutsche ist.

Natürlich. Einerseits  leichter. Die zehn Jahre, die wir in Kiew gelebt haben, hat meine Frau ihren Freundinnen Briefe geschrieben. Deswegen blieb ihr Freundeskreis unverändert, als wir hierher gekommen sind. Mit ihren Freunden habe ich mich immer gut verstanden. Sie sind meine guten Bekannten. Meine Freunde sind jedoch in Kiew geblieben. „Was fehlt Ihnen in Deutschland?“. Ich antworte: „Meine Freunde fehlen mir hier“. Manchmal fehlt mir die Sprache. Auch wenn ich absolut fließend Deutsch spreche. Es ist jedoch kaum möglich, in einer Fremdsprache alle Sinnschattierungen und Nuancen, die Tiefe eines Gedankens wiederzugeben. Im Großen und Ganzen geht es mir gut. Ich will von hier nicht wegfahren.

Ich danke Ihnen, Viktor! Wir wünschen Ihnen eine erfolgreiche Weiterentwicklung von Ihrer Zeitung „ Integral“.

Ein Projekt des Deutsch-Russischen Austausch e.V. im Rahmen des Bundeprogramms "XENOS - Integration und Vielfalt". Deutsch-Russischer Austausch e.V.